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Kinderherzsport Seite 3(c) von 6
Lebensqualität durch sportliche Be(s)tätigung

4. Das herzkranke Kind (und seine Familie)

Nun habe ich die ganze Zeit von sportlicher Betätigung bei Kindern ganz allgemein gesprochen, ohne in irgendeiner Weise auf die besondere Situation des herzkranken Kindes und seiner Familie einzugehen. Der Grund dafür ist ganz einfach:

Die meisten angeborenen Herzfehler sind entweder nicht bzw. kaum leistungseinschränkend, oder aber sie können heute glücklicherweise so früh operiert werden, dass die Kinder gesund oder zumindest fast gesund sind, wenn sie in die Schule kommen. Ungefähr die Hälfte aller Kinder, die mit einem Herzfehler geboren werden, sind zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise (mehr) durch ihren Herzfehler leistungsmäßig beeinträchtigt, und nur etwa 20 bis 40 Prozent (die Zahlen variieren da etwas) sind so beeinträchtigt, dass es sich z.B. nennenswert auf ihre Teilnahme am Schulsport auswirkt (Cumming, 1989).

Viele Kinder mit angeborenen Herzkrankheiten oder nach Herzoperationen können also ohne Probleme an sportlichen Aktivitäten in der Freizeit oder in der Schule teilnehmen, und manche von ihnen könnten sogar Leistungssport betreiben und tun das auch. Für alle diese Kinder gilt das vorhin über die Bedeutung sportlicher Betätigung Gesagte ohne Einschränkung.

Kaemmerer et al. (1994) haben 146 Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern u.a. nach ihren sportlichen Aktivitäten befragt. Fast 30 Prozent gaben dabei an, dass sie regelmäßig und mehrmals in der Woche Sport treiben; von denjenigen in der kardial am geringsten eingeschränkten Gruppe waren es sogar fast 40 Prozent. Dies ist im Vergleich mit den Sportreibenden insgesamt (z.B. Abele & Brehm, 1990) viel.

Bei Kindern stellt die Situation sich ein bißchen anders dar.

Ich denke, ich brauche hier nicht näher darauf einzugehen, wie tief jede schwere Erkrankung eines Kindes in die Dynamik der betroffenen Familie eingreift. Das wissen Sie aus Ihrer persönlichen Erfahrung heraus sehr genau. Ich nenne nur ein paar Punkte, die mir wesentlich erscheinen:

Jede schwere Erkrankung eines Familienmitgliedes ist mit Angst verbunden. Diese Angst führt zu einem Gefühl der Bedrohung durch die Erkrankung, die dann z.B. dazu führt, dass die Bewältigung der bedrohlichen Situation entweder als gemeinsame Aufgabe der ganzen Familie verstanden wird („Familie als feste Burg”) oder aber dass die Bedrohlichkeit verleugnet wird („Bei uns ist alles völlig normal”).

Zugleich bedeutet Krankheit aber auch so etwas wie eine Legitimation. Sie erfordert Aufmerksamkeit, Sorge und Vorsichten und sie erlaubt den Betroffenen (Familie, Kind), Versorgungs- und Zuwendungsansprüche zu stellen. Krankheit kann auch als Grund herhalten, bestimmte Dinge nicht zu tun und Aufgaben nicht zu bewältigen.

Dies sind auch Gründe, warum viele Kinder mit angeborenen Herzfehlern selbst bei guter kardialer Belastbarkeit oder nach erfolgreicher Operation nur eingeschränkt oder gar nicht am Schulsport teilnehmen und auch auf sportliche Betätigung in der Freizeit verzichten (vgl. Cumming, 1989). Hier spielen Ängste und Sicherheitsdenken bei Eltern, Lehrern und Trainern eine wesentliche Rolle.

Und es spielt auch ungenügende oder falsche ärztliche Beratung eine Rolle:
Viele Eltern, die ihren herzkranken Kindern ohne hinreichenden Grund sportliche Aktivitäten untersagen, tun dies auf ärztlichen Rat hin, und viele Eltern geben auf Nachfragen an, sie seien bezüglich der Folgen der Erkrankung verunsichert (ebenfalls Cumming, 1989). Hier ist also eine bessere Beratung der Eltern und Kinder durch (Kinder)Kardiologen, Kinderärzte und Hausärzte notwendig und vor allem wohl auch eine bessere Abstimmung zwischen den verschiedenen ärztlichen Disziplinen sowie auch zwischen Ärzten und Sporttherapeuten (vgl. auch Kaemmerer et al., 1994).

Die geschilderte Situation ist sicherlich auch mit ein Grund, warum Herzsportgruppen für Kinder zumindest in Deutschland (die Situation in anderen Ländern kenne ich nicht) praktisch nie zustande kommen. Ein weiterer Grund dafür dürfte sein, dass in vielen Fällen natürlich auch die Frage gestellt werden muß, ob eine spezielle (Herz-)Gruppe für Kinder eigentlich sinnvoll und notwendig ist. Anders als beispielsweise im Koronarsport ist eine körperliche Einschränkung oft nicht gegeben, es liegt kein Trainingsmangel vor, und es müssen keine wesentlichen Lebenstiländerungen initiiert und aufrechterhalten werden.

Warum und vor allem wann sind also Kinderherzgruppen notwendig?

Ich will hier nur ganz kurz auf die Frage der Indikation für die Teilnahme an speziellen Sportgruppen für herzkranke Kinder eingehen. Sinnvoll erscheinen mir solche Gruppen insbesondere in den folgenden Fällen:

In den anderen Fällen aber wird die Teilnahme an einer speziellen Kinderherzgruppe in der Regel nicht erforderlich sein. Die meisten Kinder mit angeborenen Herzfehler sind, um es noch einmal zu betonen, heute beim Sport körperlich nicht gravierend beeinträchtigt. Sie können und sollten in vernünftigem Umfang normal Sport betreiben.

Copyright, © Mai 1996 Dr. Oskar Mittag (Malente)           infobox
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